Hans Jellouschek: Das Problem des Einen ist auch das Problem des Anderen

Partner neigen dazu, das Problem beim jeweils Anderen zu sehen und ihn als dessen Verursacher zu beschreiben – und dies häufig wechselseitig. Zum Beispiel zum Thema Ordnung: Er: »Wärst du nicht so unordentlich, hätte ich nichts an dir auszusetzen!« – Sie: »Du hast an allem etwas auszusetzen, man kann es dir sowieso nie Recht machen!« Oder beim Thema Sex: Er: »Du hast nie Lust, ich komme nie an dich ran!« – Sie: »So wie du’s versuchst, vergeht einem aber auch alle Lust!« Oder Thema Kinder: Sie: »Du bist einfach zu streng zu ihm, da blockiert er!« – Er: »Und du lässt ihm alles durchgehen, da kann er sich ja auch alles erlauben!« Hier heißt es jeweils: »Das Problem liegt bei dir!« und darum auch »Du bist Schuld dran!« Weil der Andere sich meist dagegen wehrt und häufig in derselben Weise »zurückschlägt«, führt dies in die Blockade, und das Problem bleibt ungelöst.

Nicht viel besser ist es freilich, wenn einer der Partner diese Problembeschreibung annimmt – nach dem Muster: »Ja, du hast ja Recht, es liegt an mir! Ich schaffe es nicht, ich bin blockiert, ich kann das nicht…« Damit lädt der Betroffene sich die ganze Verantwortung auf, überfordert sich damit und macht eine Problemlösung ebenfalls unmöglich.

Der Paartherapeut hingegen geht von der Annahme aus, dass bei den meisten Problemen beide zu ihrer Entstehung zusammenwirken. Er versucht durch Fragen nach Zusammenhängen Hinweise zu finden, die diese Annahme bestätigen, um so die Sichtweise auch des Paares zu verändern: Wie wirken beide zusammen, dass etwas zum Problem wird? Wie sind beide an der Entstehung des Problems beteiligt? So könnte sich beispielsweise beim oben genannten Thema Ordnung herausstellen, dass der Mann die in seinem Betrieb geforderten Präzisionsanforderungen in unangemessener Weise auf die häusliche Situation mit zwei kleinen Kindern überträgt, andererseits jedoch die Frau ihn provoziert, indem sie sich aus Trotz gegen ihn um die Ordnung gar nicht mehr kümmert. Oder beim Beispiel Sex: Der Mann versteht es tatsächlich nicht, ein einladendes Ambiente für zärtliche Stunden zu schaffen, aber die Frau andererseits bleibt passiv und überlässt ihn allein jegliche Initiative. Schließlich beim Kinderthema: Hier könnte sich beispielsweise herausstellen, dass das »eigentliche« Problem darin liegt, dass die Mutter zu dem Jungen eine so enge Beziehung hat, dass der Mann sich aus dieser Beziehung ausgeschlossen fühlt und deshalb so streng mit dem Jungen umgeht, und die Frau als Gegenreaktion darauf besonders nachgiebig wird.«

Quelle: Jellouschek, Hans: Die Paartherapie. Eine praktische Orientierungshilfe! Stuttgart 42010, S. 22-23.